Moralische Werte und wirtschaftliches Handeln in Eurasien

Tagung des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung zu den Grundlagen der Ökonomie im 21. Jahrhundert

29. November 2017

Das Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung veranstaltet vom 6. bis 9. Dezember 2017 in der Leucorea in Wittenberg, Collegienstraße 62, eine Tagung mit dem Titel Moral Economies: Work, Values and Economic Ethics. Über 30 Wissenschaftler diskutieren dabei auf Basis empirischer Forschungsdaten aus der Untersuchung von Familienbetrieben über die moralischen Grundlagen wirtschaftlichen Handelns in Eurasien. Den Eröffnungsvortrag hält der Sozialphilosoph Hans Joas. Er spricht über die zentralen Thesen seines neuen Buches Die Macht des Heiligen. Eine Alternative zur Geschichte von der Entzauberung. Die Tagungssprache ist Englisch.

Ethnologische Forschung in Familienbetrieben
Die Tagung Moral Economies: Work, Values and Economic Ethics wird von Mitarbeitern der Abteilung ‘Resilienz und Transformation in Eurasien‘ organisiert. In Wittenberg diskutieren die Ethnologen zunächst über den Zusammenhang zwischen moralischen Traditionen und wirtschaftlichem Handeln anhand von Max Webers Schriften zur protestantischen Ethik. Im weiteren Verlauf der Tagung stellen sieben Doktoranden ihre empirischen Befunde aus der Feldforschung in Familienbetrieben in China, Dänemark, Indien, Myanmar, Russland, der Türkei und Ungarn vor und diskutieren sie mit internationalen Experten, die auch Vorträge zu ihrer eigenen Forschung halten werden. Die Tagung findet im Rahmen des vom Europäischen Forschungsrat finanzierten Projekts „Realising Eurasia: Civilisation and Moral Economy in the 21st Century (REALEURASIA)“ statt. Das Projekt begann im Juli 2014, die Laufzeit beträgt fünf Jahre. Projektleiter ist Prof. Dr. Chris Hann, Direktor am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung.

Max Weber im Kontext ethnologischer Forschung
Ein zentraler theoretischer Bezug des Projekts orientiert sich an Max Webers Schriften zu den Weltreligionen und seiner Theorie der Entwicklung eines typisch okzidentalen Rationalismus. „Webers Texte, in denen er sich mit dem Zusammenhang von Arbeitsethik und wirtschaftlichem Erfolg auseinandersetzt, sind immens einflussreich in den Sozialwissenschaften. Deshalb ist Weber für unser Projekt auch so bedeutend“, sagt Hann. „Es ist allerdings auch unbestritten, dass Weber sehr auf Westeuropa fixiert war. Wir wollen deshalb über Weber hinausgehen und auf der Basis empirischer Feldforschung die enge Verwobenheit von Traditionen, Werten und Wirtschaft in ganz Eurasien zeigen.“

Traditionen und Werte in Eurasien
Das Projekt basiert in erster Linie auf Theorien und Methoden der Wirtschaftsethnologie. „Das Besondere unseres Projekts ist, dass wir Europa und Asien als eine Einheit betrachten. Der britische Ethnologe Jack Goody hat jahrzehntelang darauf hingewiesen, dass es seit dem Ende der Bronzezeit etwa 1000 vor Christus Gemeinsamkeiten gibt, die vom Mittelmeer bis zum Pazifik reichen“, sagt Hann. Die Forschergruppe hat deshalb eine Vielzahl von familiengeführten und kleinen Unternehmen vom lutherischen Dänemark bis zum konfuzianischen China untersucht. Hann: „In diesen Familienunternehmen zeigt sich am deutlichsten, wie das wirtschaftliche Handeln von wertorientierten Faktoren geprägt wird und ob diese Werte teilweise eine religiöse Basis haben, die sich dem kapitalistischen Imperativ der Nutzenorientierung widersetzt.“

Moralische Ökonomie und eurasische Zivilisation
Neben dem Konzept Eurasien spielen die beiden Begriffe moralische Ökonomie und Civilisation eine bedeutende Rolle im REALEURASIA-Projekt. „Wenn wir einen Kontinent wie Eurasien empirisch untersuchen wollen, dann reicht der Werkzeugkasten der Sozialwissenschaftler mit Konzepten wie Kultur, Gemeinschaft oder Gesellschaft nicht aus. Um die Familienähnlichkeiten größerer Strukturen in den Blick nehmen zu können, stützen wir uns deshalb auf den von Marcel Mauss geprägten Begriff Civilisation.“ Ebenso inspirierend für Hann und seine Mitarbeiter ist der vom britischen Historiker E. P. Thompson stammende Begriff moralische Ökonomie. „Damit ist wirtschaftliches Handeln gemeint, bei dem moralische Werte eine zentrale Rolle spielen. Auf unserer Tagung in Wittenberg werden wir auch darüber diskutieren, ob Eurasien von einer gemeinsamen moralischen Ökonomie geprägt ist, auf deren Basis Ideen von Umverteilung und verantwortlicher Herrschaft entstehen konnten, die im 20. Jahrhundert zur Entwicklung des Wohlfahrtsstaats geführt haben.“

Erforschung des globalen sozialen Wandels
Das Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung ist eines der weltweit führenden Forschungszentren auf dem Gebiet der Ethnologie (Sozialanthropologie). Es hat seine Arbeit 1999 mit den Gründungsdirektoren Prof. Dr. Chris Hann und Prof. Dr. Günther Schlee aufgenommen und 2001 seinen ständigen Sitz im Advokatenweg 36 bezogen. Mit Ernennung der Direktorin Prof. Dr. Marie-Claire Foblets im Jahre 2012 wurde das Institut um eine Abteilung zum Themenfeld ‚Recht & Ethnologie‘ erweitert. Forschungsleitend ist die vergleichende Untersuchung gegenwärtiger sozialer Wandlungsprozesse. Besonders auf diesem Gebiet leisten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Institutes einen wichtigen Beitrag zur ethnologischen Theoriebildung. Sie befassen sich darüber hinaus in ihren Projekten oft auch mit Fragestellungen und Themen, die im Mittelpunkt aktueller politischer Debatten stehen. Am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung arbeiten gegenwärtig 175 Wissenschaftler aus über 30 Nationen. Darüber hinaus bietet das Institut zahlreichen Gastwissenschaftlern Raum und Gelegenheit zum wissenschaftlichen Austausch.

Um Anmeldung zur Tagung wird gebeten:
Prof. Dr. Lale Yalçın-Heckmann
E-Mail: yalcin@eth.mpg.de

Zum Programm der Tagung

Mehr Informationen zum Forschungsprojekt REALEURASIA

Kontakt für diese Pressemitteilung
Prof. Dr. Chris Hann
Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung
Abteilung ‘Resilienz und Transformation in Eurasien’
Advokatenweg 36, 06114 Halle (Saale)
Tel.: 0345 2927-201
Mail: hann@eth.mpg.de
http://www.eth.mpg.de/hann

Prof. Dr. Lale Yalçın-Heckmann
Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung
Abteilung ‘Resilienz und Transformation in Eurasien’
Advokatenweg 36, 06114 Halle (Saale)
Tel.: 0345 2927-221
Mail: yalcin@eth.mpg.de
http://www.eth.mpg.de/yalcin

Kontakt für die Presse
Stefan Schwendtner
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung
Advokatenweg 36, 06114 Halle (Saale)
Tel.: 0345 2927-425
Mail: schwendtner@eth.mpg.de
http://www.eth.mpg.de

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