Fernwärme und Infrastrukturschäden in Bukarest, Rumänien
Das Projekt untersucht die Dynamiken der Warmwasser- und Wärmeversorgung sowie deren Nutzung in Bukarest und die Rolle von Wärme im Alltag und in der Organisation postsozialistischer städtischer Räume. Die Hauptstadt Rumäniens verfügt über das größte Fernwärmenetz in der Europäischen Union. Es wurde während des sozialistischen Regimes gebaut, um sowohl den Einwohnern der Stadt als auch den Industriekunden erschwingliche und breit verfügbare Energie zu bieten. Der Übergang vom Sozialismus zum Marktliberalismus ging mit einer Desinvestition in das zentralisierte Heizsystem einher, was die Mechanismen der Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen sowie das Verhältnis zwischen dem Staat und seinen Bürgern veränderte. Während das kommunale Unternehmen Termoenergetica, das den Betrieb des Fernwärmesystems verwaltet, mit der Herausforderung zu kämpfen hat, ein überdimensioniertes Energieangebot im Kontext einer rapide sinkenden Nachfrage zu verwalten, ist die Bereitstellung von Warmwasser und Wärme alles andere als ein reibungsloses Unterfangen. Die materiellen Komponenten der Fernwärmeinfrastruktur unterliegen einem kontinuierlichen Verfall, dessen Auswirkungen sich im Alltag der Einheimischen bemerkbar machen. Wenn Wasserleitungen korrodieren und die Kraftwerke ausfallen, sind einzelne Verbraucher gezwungen, ihre täglichen Abläufe an die tagelangen, wochenlangen oder sogar monatelangen Ausfälle der Wärmeversorgung anzupassen.
Mit ethnografischen Methoden, die Archivforschung, teilnehmende Beobachtungen und Interviews mit Einwohnern der Stadt sowie mit Mitarbeitern von Termoenergetica umfassen, untersucht dieses Projekt das Recht auf Warmwasser, um zu verstehen, wie seine vielfältigen Erscheinungsformen und Umstände die städtische Verwaltung formen. Das materielle Erbe des sozialistischen Regimes, das den Warmwasserfluss in der Stadt ermöglicht, wird durch die kulturellen Überreste normativer Vorstellungen über die Verpflichtung des Staates, einen kontinuierlichen Zugang zu Wärme zu gewährleisten, ergänzt. In einem politischen Kontext, in dem der Staat nicht mehr als alleiniger Wohlfahrtsversorger auftritt, macht es die zunehmende Rolle privater und überstaatlicher Akteure, wie z.B. die der Europäischen Union, schwierig, die Erwartungen an ein „normales“ Leben zu erfüllen. Dies macht Bukarest zu einem besonders interessanten Forschungsstandort, wenn man die fragmentierte Koordination der Akteure bedenkt, die das System trotz häufiger Unterbrechungen und Unfälle in der Versorgung am Laufen halten.
Dieses Promotionsprojekt leistet einen Beitrag zur anthropologischen Erforschung von Wärme, indem es die Verkörperung und die alltägliche Sozialität innerhalb groß angelegter Prozesse der infrastrukturellen Anpassung an den sozialen, demografischen, politischen und wirtschaftlichen Wandel einordnet. Es geht über lineare Erzählungen des Übergangs von der sozialistischen zur neoliberalen Weltordnung hinaus und befasst sich mit möglichen Ausgestaltungen der Energiezukunft in der Region.