Fünf Vorträge zur Langen Nacht der Wissenschaften
Warum gibt es in Sachsen-Anhalt so viele UNESCO-Welterbestätten, in Asien und Afrika aber sehr wenige? Was ist guter Schlaf und wie können wir ihn messen? Wie beeinflusst unsere Kultur die Praxis der Organspende? Wie gehen Gerichte mit Verhaltensweisen um, die nicht unseren Vorstellungen von „normal“ entsprechen? Was hat der Ausstieg aus der Braunkohleverstromung im Mitteldeutschen Revier mit den Menschen gemacht, die dort leben? Antworten auf diese fünf Fragen geben Ethnologinnen und Ethnologen bei der Langen Nacht der Wissenschaften am Freitag, dem 5. Juli, ab 17:00 Uhr im Melanchthonianum, Hörssal D, am Uniplatz in Halle.
Felix Schiedlowski: Glück aus im Revier? Das Ende der Braunkohleverstromung in Mitteldeutschland
17:00–18:00 Uhr, Melanchthonianum am Uniplatz, Hörsaal F
Der Vortrag von Felix Schiedlowski wirft aus ethnologischer Perspektive einen Blick auf den Strukturwandel und anstehenden Ausstieg aus der Braunkohleverstromung im Mitteldeutschen Revier. Bis spätestens 2038 soll die über 200 Jahre alte Geschichte der Braunkohle zu ihrem Ende kommen. Der geplante Strukturwandel verspricht aber genug Zeit und genug Geld, um den Abschied von der Kohle zu kompensieren und den Wandel zu gestalten. Denn, dieser Prozess bezieht nicht nur wirtschaftliche oder energiepolitische Fragen ein, sondern sucht auch nach Lösungen für den Wandel der Lebensverhältnisse in Mitteldeutschland. Felix Schiedlowski beschäftigt sich daher auch mit den aus den Wendejahren resultierenden Umbruchserfahrungen der Region und zeigt, wie Politik und Gesellschaft die Zukunft nach der Kohle gestalten wollen. Der Vortrag berichtet von einem ethnologischen Forschungsprojekt, das auch im Rahmen der Ausstellung „Wechsel deine Perspektive – Ethnologie öffnet Türen!“ im benachbarten Löwengebäude ausgestellt ist. Speziell für Kinder wartet in der Ausstellung ein Quiz mit interessanten Fragen zur Ethnologie. Und es gibt Preise zu gewinnen! Unbedingt vorbeischauen.
Christoph Brumann: Das Erbe der ganzen Menschheit? Warum Europa so viele UNESCO-Welterbestätten hat
17:00–18:00 Uhr, Melanchthonianum am Uniplatz, Hörsaal D
Seit 1976 vergibt ein von der UNESCO unterstütztes Komitee den Welterbetitel an Kultur- und Naturstätten mit "außergewöhnlichem universellem Wert". Allein sechs davon befinden sich in Sachsen-Anhalt – so viele wie in Thailand und nur eine weniger als in Ägypten. Wie vergibt das Komitee diese Auszeichnung, und warum haben die immer wieder erhobenen Vorwürfe des Eurozentrismus so wenig bewirkt? Der Vortrag beantwortet diese Fragen auf der Grundlage ethnographischer Feldforschung in den Welterbe-Gremien und eines kürzlich erschienenen Buches ("The Best We Share: Nation, Culture and World-Making in the UNESCO World Heritage Arena").
Julia Vorhölter: Gute Nacht? Ethnologische Perspektiven auf Schlaf und Schlaflosigkeit
18:00–19:00 Uhr, Melanchthonianum am Uniplatz, Hörsaal D
Schlafforschung boomt. Durch Apps und in Schlaflaboren scheint unser Schlaf immer messbarer zu werden. Neue Pharmazeutika und Medizintechnologien versprechen Schlaf kontrollierbar zu machen. Doch wie wirken diese neuen Wissenswelten auf die Erfahrung von Schlaf, besonders von Menschen, die sich guten Schlaf wünschen und daran scheitern? Der Vortrag beleuchtet die vielfältigen Faktoren, die unseren Schlaf und unseren Umgang mit ihm prägen sowie die Dilemmata, die bei der Wissensproduktion über Schlaf entstehen. Wie wird das komplexe Phänomen Schlaf überhaupt gemessen? Wie ist das Verhältnis von subjektivem Schlaferleben und den vermeintlich „objektiven“ Daten, die im Schlaflabor oder von sogenannten Sleep Trackers generiert werden? Was bedeutet „guter Schlaf“ für unterschiedliche Menschen? Und was tun Schlafgestörte oder Fachleute, um Schlaf zu verbessern und gesunden Schlaf herbeizuführen?
Inge Fiedler: Die Kultur der Organspende in Deutschland. Eine sozialwissenschaftliche Bestandsaufnahme
19:00–20:00 Uhr, Melanchthonianum am Uniplatz, Hörsaal D
In Deutschland wird seit Jahrzehnten darüber gestritten, wie die Zahl der Organspenden gesteigert werden kann. In diesen Debatten wird angemahnt, dass viel zu selten eine Entscheidung dokumentiert vorliegt und dann die Angehörigen diese stellvertretend treffen müssen. Organspende-Ausweise werden ausgelegt, Plakate aufgehängt, Thementage organisiert und Sportveranstaltungen beworben – alles, um das Thema in die Gesellschaft zu tragen und präsent zu machen. Ärztliche Vertreterinnen und Politiker diagnostizieren, dass eine Kultur der Organspende fehlt. Doch stimmt das?
Ein kultur- und sozialwissenschaftlicher Blick erlaubt hier eine Bestandsaufnahme. Denn Kultur findet man in verschiedenen Formen. Es gibt kleine und große Räume des Andenkens für Organspender, auch hier in Halle. Fotoausstellungen teilen die Geschichten der Betroffenen und in Dokumentationen kann man die Abläufe einer Organspende mitverfolgen. Sogar tätowierte Symbole für die Organspende werden in Sozialen Medien geteilt oder werden bei T-Shirt-Wetter im Sommer sichtbar. Welchen Beitrag kann also Kultur zu Entscheidungen für oder gegen eine Organspende leisten?
Nikko Kulke, Mareike Schmidt: Kulturelle Vielfalt – Herausforderung für den Rechtsstaat?
20:00–21:00 Uhr, Melanchthonianum am Uniplatz, Hörsaal D
Das Straf- und Privatrecht bieten viele Beispiele, in denen das Recht mit Praktiken und Überzeugungen konfrontiert ist, die nicht mit „hiesigen“ eingeübten Normalitätsvorstellungen übereinstimmen, aber dennoch einer Entscheidung bedürfen. Gerichtsentscheidungen, die zugleich skurril und unterhaltsam sind, aber auch zum ernsthaften Nachdenken anregen, sind Anschauungsmaterial für die flexiblen Antwortmöglichkeiten des Rechts auf die Herausforderungen kultureller Diversität. Gleichzeitig gibt uns die Auseinandersetzung mit diesen „Grenzfällen“ des Rechts Aufschluss über kaum hinterfragte Grundsätze und Bedeutungen einzelner Rechtsbestimmungen. Was verbirgt sich eigentlich hinter einem „objektiven Empfänger“? Wieso bewertet der BGH Partnerschaftstötungen nicht auch als Mord, wie die Tötungen aus Gründen der Ehre? Entsteht für eine ältere Dame noch ein Anspruch auf Schmerzensgeld, wenn ihr Liebhaber ihr seine Ehe verschweigt? Oder sollte zeitgemäßes Strafrecht noch Kulturnormen schützen?