Das Ateker Cluster – verschränkte frontiers und Interaktionsethik
Der Begriff frontier impliziert für gewöhnlich die Vorstellung einer überlegenen Zivilisation, die in „unerschlossenes“ Gebiet vordrängt, dessen Bewohner lediglich „unterentwickelte“ Formen von Ökonomie und Vergesellschaftung praktizieren. Diese Wertung begleitet Expansionsprozesse, in denen sozio-kulturelle Systeme (mehr oder weniger gewaltsam) in Regionen vorstoßen, wo sich bereits andersartige, stark abweichende Formen von Ressourcen-Nutzung, -Kontrolle, -Konsumption, und –Verteilung durch die indigene Bevölkerung etabliert haben. Die Ideologie der Invasoren erklärt diese von ihren abweichenden Muster dann meist (mehr oder weniger explizit) für weniger effizient, weniger angemessen und weniger gerechtfertigt – bei verschiedenen Graden der Verbindung dieser Wertungen, aber immer mit Bezug auf Maßstäbe, die nicht die der anderen sind.
Allerdings wird man oft, wie hier im Fall der Ateker-Region NO-Afrikas im Grenzgebiet von Kenia, Äthiopien, Uganda und Sudan, in der semi-nomadische Ethnien mit der gleichen ost-nilotischen Sprache einen großen Teil ihrer überlieferten Kultur bewahrt haben, nicht unterwürfige Objekte eines überlegenen Willens vorfinden, sondern selbstbewusste individuelle und kollektive Subjekte, die nicht nur starke eigene Interessen verfolgen, sondern auch über mehr als genügend Fertigkeiten, Strategien und Entschlossenheit verfügen, um dies erfolgreich zu tun.
Für sie ist die ‘in ihrem Gebiet’ stetig wachsende und es zur ökonomischen und kulturellen Ökumene hin öffnende ‘verwestlichte Welt’ einerseits (in verschiedenen Graden) nach wie vor etwas Fremdes, das durch bestimmte Strategien auf Distanz gehalten wird, aber zugleich auch ein Feld voller Chancen auf Zugang zu wertvollen Ressourcen. Daher haben wir es mit einer ‚gegenseitigen frontier‘ zu tun, wo verschiedene soziale Welten (bzw. die ihnen angehörenden Individuen) die jeweils andere zum eigenen Nutzen zu erschließen versuchen. Die Verortungen der Akteure im Identitäts-Diskurs dienen diesem Ziel sowohl über Abgrenzung, als auch über affirmative Strategien.
Diese Prozesse der Differenzierung und Durchdringung spiegeln sich auch in den Mustern kollektiver Gewalt. Das soll zunächst am Beispiel der Ateker-Region ihrer Geschichte und Gegenwart dargestellt werden, durch lokale Mikrostudien entlang der Staatengrenzen illustriert und schließlich im Kontext globaler historischer Prozesse ausgewertet werden, in denen sich auch das direkte Engagement externer Akteure in Entwicklungs- und Friedensarbeit verorten lässt.
Ziel der Arbeit ist es, die Zusammenhänge zwischen den sozialen Strukturen von Ressourcenkontrolle, Gemeinschaftsbildung und Gewaltregulierung in ihrer Bindung an verschiedenartige Gesellschaftsmodelle, sowie die Dynamiken der Interaktion zwischen solchen unterschiedlich strukturierten Systemen, hier v.a. am Beispiel der Ateker-Region, zu beleuchten – und diese Einsichten für die Praxis fruchtbar zu machen.