Projekte der Forschungsgruppe
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Alltagsgeschichten: Zeit, das Eigene und das Fremde in einer österreichischen alpinen Gemeinde
Annika Lems
Dieses Projekt erforscht die Rolle von lokalem, alltäglichem Geschichtsverständnis, Tradition und Ortszugehörigkeit in der Gemeinde Millstatt im österreichischen Bundesland Kärnten. Die Dorfgemeinschaften, mit denen ich zusammenarbeite, befinden sich in der Alpe-Adria Region, einem alpinen Dreiländereck zwischen Österreich, Slowenien und Italien. Diese Region ist durch Mobilität und grenzüberschreitende Verknüpfungen geprägt: Die jahrhundertealten Handelsstraßen zwischen dem mediterranen Raum und Mitteleuropa, welche die Region durchziehen, werden oft als Symbol der europäischen Integration beschrieben. Dennoch wurde Kärnten im Laufe der Jahrzehnte oftmals als ländliches, rückständiges Randgebiet dargestellt, was zu angespannten Beziehungen mit den städtischen Machtzentren geführt hat. Diese heikle Positionierung nehme ich als Ausgangspunkt, um zu erforschen, auf welche Weise sich lokale und globale Zeitlichkeiten treffen, vermischen und aufeinanderprallen. Den zentralen methodischen Ansatz für mein Projekt bietet die Dorfethnologie, angetrieben von der Frage wie die Spannung zwischen lokaler Geschichte und globalen Transformationen methodisch aufgefangen werden kann. Während sich die Dorfethnographie als nützliche Methode erwiesen hat, um sich Prozessen des globalen Wandels zu nähern, hat sich der Fokus der Globalisierungsforschung in den letzten Jahrzehnten mehr auf urbane Settings verlagert. Daher wissen wir sehr wenig darüber, wie die Menschen in ländlichen Gebieten mit globalen Veränderungen im Alltag leben, welchen Sinn sie ihnen geben und auch inwieweit diese Wahrnehmung mit der wachsenden politischen Unzufriedenheit zusammenhängen könnte. Um ein tieferes Verständnis für die Paradoxien der Globalisierung zu erlangen, die KommentatorInnen stets in die Domäne der Stadt geschrieben haben, arbeite ich explizit mit einer ländlichen Linse. Diese "ländliche Linse" erfordert sowohl eine Sensibilität für die Kluft zwischen Stadt und Land, die viele Orte auf dem europäischen Land an die wirtschaftliche und kulturelle Peripherie einer globalisierten Welt verbannt hat, als auch für die oft stark ausgrenzenden Praktiken, die die BewohnerInnen ländlicher Orte als Reaktion darauf entwickelt haben. In meinem Projekt untersuche ich, inwieweit diese Praktiken des „place-making“ mit lokalen, alltäglichen Verständnissen von Geschichte und Ideen von Zugehörigkeit verknüpft sind.
Contested Soil: Everyday Histories of Belonging to, Losing and Defending Place on a South Tyrolean Alp
Christine Moderbacher
The project 'Contested Soil: Everyday Histories of Belonging to, Losing and Defending Place on a South Tyrolean Alp' explores the notion of 'attachment to the soil' and how this is experienced and understood in everyday practices of South Tyrolians living in Europe’s largest high plateau, the 'Seiser Alm/Alpe di Siusi'. Through ethnographic and archival research, I aim to draw conclusions about processes of inclusion and exclusion, and question the role of local political mobilization. Taking in consideration the particular historical context of the region, "Contested Soil" will give insight into the inhabitants' everyday engagements with history and how these play into the inclusion and exclusion of individuals and groups belonging to - or not to - the soil. The research will take place in the municipality 'Kastelruth/Castelrotto', located in Europe's largest high Alpine meadow, the 'Seiser Alm/Alpe di Siusi' and will be grounded in in-depth ethnographical research (mostly focusing on everyday histories, using participant observation, walking and storytelling) as well as research on archival material (e.g. letters, historical documents etc.) and media analysis of the dominating political discourse. Building on my long lasting experience as a filmmaker, I aim to explore different ways of knowing and encountering the world. As part of the independent research group "Alpine Histories of Global Change: Time, Self and the Other in German-speaking Alpine region" it will question how exclusionary narratives of indigeneity allow for a better understanding of local political mobilization.
Verbildlichungen von alpinen Geschichten des globalen Wandels
Paul Reade
Die Alpen werden seit Jahrhunderten mit spezifischen ästhetischen Bildern des Erhabenen in Verbindung gebracht, welches man sich zu Nutzen gemacht hat, um TouristInnen und BesucherInnen anzuziehen. Dieses Bild beruht auch auf einem Gefühl der Zeitlosigkeit, des traditionellen Lebens und der imposanten Natur. Dementsprechend haben sich alpine Identitäten sowie Zugehörigkeitsgefühle um solche Darstellungen von Menschen und Orten herum gebildet, die eigentlich nicht nur für den lokalen Gebrauch, sondern für einen globalen Markt geschaffen wurden. Das Projekt ist darauf ausgerichtet, die Bedeutung von Darstellung sowie Vorstellung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in den Alpen mit audiovisuellen Mitteln zu erforschen und die Spannungsfelder zwischen der Art der Darstellung für ein lokales oder aber globales Publikum zu untersuchen. Dies soll durch das Erfassen von Archivmaterial sowie durch die Produktion von Filmen, Fotos und Tonaufnahmen an allen Forschungsstandorten der Gruppe erreicht werden.
(Nicht) so fern und weit entfernt: Kolonialismus in visuellen Familienerinnerungen in den Alpen
Markus Wurzer
Die kolonialen Unternehmungen europäischer Staaten haben in ihren Gesellschaften einige Spuren hinterlassen – nicht nur im öffentlichen Raum, sondern auch im privaten Rahmen der Familienerinnerungen. Familien repräsentieren einen zentralen Modus des kollektiven Gedächtnisses, welcher in der postkolonialen Gedächtnisforschung bisher kaum untersucht wurde. Während in den letzten Jahrzehnten öffentliche Gedächtnissymbole wie Straßennamen und Denkmäler sowie Institutionen wie Museen und Archive dekolonisiert wurden, zirkulierten im familiären Rahmen munter und unangetastet Vorstellungen über koloniale Realitäten und über die Idee der 'weißen' Vorherrschaft. Dabei sind es gerade die von kolonialen AkteurInnen vor Jahrzehnten mitgebrachten oder verschickten Fotografien, die - als scheinbar authentische Zeugnisse - rassistische und kolonialistische Bilder einer Kolonialgeschichte im vermeintlich unpolitischen Rahmen der Familie bis heute reproduzieren und etablieren. Das Ziel meines laufenden Buchprojekts ist es, die visuellen kolonialen Erinnerungen nicht länger unwidersprochen und unangefochten in ihren Familien zu belassen, sondern sie einer kritischen Lektüre zu unterziehen und damit zu dekolonisieren. Das koloniale Projekt des faschistischen Italiens gegen das Kaiserreich Abessinien (1935-1941) dient als Fallstudie für dieses Projekt, das sich auf die visuellen Produktionen deutschsprachiger Soldaten und ihrer Familien aus der nördlichsten Provinz Italiens, Bozen/Bolzano, konzentriert, um die Ambivalenzen von Kolonialkriegen sichtbar zu machen. Zur Dekolonisierung der kolonialen Bilder, die bis heute auf 'Südtiroler' Dachböden aufbewahrt werden, sollen sie in ihre historischen Kontexte eingebettet werden, d.h. ihre (Re-)Produktion, Zirkulation, Aneignung/Ablehnung und Überlieferung werden untersucht und ihre essentialistischen Bildbedeutungen dekonstruiert. Dieses Buchprojekt ist an der Schnittstelle von Postcolonial, Memory und Visual Culture Studies angesiedelt und verfolgt einen methodisch kombinierten Ansatz.
Stranger in the Swiss Village: Celebrating and Contesting Globalization
Danaé Leitenberg
Inspired by James Baldwin’s seminal engagement with ideas of belonging and estrangement in a Swiss Alpine village, the project “Stranger in the Village: Celebrating and Contesting Globalization”, explores how processes linked to globalized tourism or the so-called “business of foreigners” (Fremdenverkehr) are both essential for the survival Swiss Alpine dwellers and met with deep skepticism. The Swiss Alps draw on a long history of touristification, transforming valleys inhabited by mountain farmers into globalized resorts from the 19th century. By looking at everyday understandings of touristification narratives in the village of Grindelwald in the Bernese Highlands, this project questions the contested nature of tourism between its necessity and its abuses and the inequality on which resorts are built. “Stranger in the Village” ethnographically explores the “strange” affective states accompanying tourism development, such as the coexistence of hope and fear and the boundaries separating those who are said to “profit” from tourism - Swiss “native” locals - and those who work in the hospitality industry for lack of a better choice - migrants. Paying attention to the historical narratives of development via touristification, “Stranger in the Village” also focuses on people’s expectations for the future in a touristic resort in unprecedented times following the outbreak of Covid-19.