Säkulare Utopien durch „hidden transcripts“ (Subtexte) verwirklichen: Bengali-Kulturaktivismus, Kommunismus und umstrittene Bestrebungen für eine „säkulare“ Gesellschaft
Säkularismus und Religionskritik (einschließlich Atheismus) sind in Bangladesch seit langem umstritten. Selbst diejenigen, die sich eine „säkulare Gesellschaft“ wünschen und entschlossen für diese eintreten, entscheiden sich häufig gegen offen artikulierte Kritik und öffentlichen Aktivismus. Ihr indirektes Engagement für eine säkulare Gesellschaft äußerst sich in Unterstützung für kommunistische Politik oder der Beteiligung in Kultur-aktivistischen Gruppierungen. Warum wählen Menschen einen solchermaßen indirekten Weg, um eine gesellschaftliche Transformation zu befördern, die ihnen so am Herzen liegen? Und wie hat sich die Art und Weise, wie der Wunsch nach einer säkularen Gesellschaft artikuliert und vorgestellt wird, in Abhängigkeit von Zeit und Raum verändert? Diese Studie nimmt die in Bangladesch geläufige Assoziation zwischen Nichtreligion, Kommunismus und bestimmten Genres der bengalischen darstellenden Künste als Ausgangspunkt und untersucht die Dynamik solcher mehr oder weniger indirekten Formen für die Durchsetzung säkularer Politiken. Das Projekt trägt damit einerseits zur Erforschung von Nichtreligion bei und nimmt zugleich Anregungen aus Diskussionen über Utopie geleitete politische Projekt auf und befasst sich mit grundlegenden Fragen über Machtstrukturen, moralischen Ordnungen und nach den Bedingungen der (Un-)Möglichkeit gesellschaftspolitische Projekte anzustreben oder zu artikulieren.
Empirisch konzentriert sich die Forschung auf eine der bedeutendsten kommunistischen Kulturorganisationen in Bangladesch und greift dabei auch auf Material aus einer früheren ethnographischen Langzeitforschung zu Parteipolitik und Nichtreligion in Sylhet zurück. Die Forschung basiert auf ethnographischen Beobachtungen mit Menschen, die sich an verschiedenen Orten in Bangladesch, Kalkutta und London für diese Organisation engagieren, sowie auf biographischen Interviews und Archivquellen. Dabei untersucht das Projekt insbesondere die oben genannten Spannungen zwischen zwei konträren Tendenzen. Einerseits gibt es den Wunsch für eine säkulare Gesellschaft zu kämpfen sowie eine kritische Haltung gegenüber bestimmten Formen von Religiosität zu forcieren. Anderseits zögern eben diese Menschen, ihre Überzeugung explizit anzusprechen. Wie hat sich die Spannung zwischen Wunsch nach Transformation, Aktivismus und indirekter Artikulation im Laufe der Zeit und in Bezug auf bestimmte Räume und Zielgruppen verändert? Und wie hängen diese sich verändernden Spannungen und Positionierungen mit lokalen, nationalen und transnationalen Konfigurationen zusammen?
Mit dem von der Extended-Case-Methode inspirierten Fokus auf situative Verschiebungen beleuchtet diese Forschung somit verschiedene Machtstrukturen und die Veränderungen dieser über Raum und Zeit. Gleichzeitig fragt diese Studie, wie politische Ambitionen und säkulare Imaginationen aktiviert, zirkuliert und artikuliert werden (oder auch nicht). Das Projekt geht dabei im Detail auf spezifische politische Artikulationsformen und untersucht u.a. seit wann und warum bestimmte Formen der darstellenden Künste und spezifische bengalische Kulturgenres als förderlich für die Kultivierung säkularer Gesinnung angesehen werden. Welche Rolle spielen verkörpernde Praktiken im politischen Handeln, wenn die Ziele des gesellschaftspolitischen Strebens nur verdeckt ausdrückt werden, wie es beim vorliegenden Thema der Fall ist? Darüber hinaus zeigt diese Studie, dass bestimmte Zukunftshoffnungen, zwar einerseits politische Handlungen zu motivieren vermögen, diese aber nicht notwendigerweise als politische Forderungen eine breite Öffentlichkeit adressieren. Stattdessen werden sie nur für spezifische Zielgruppen und (Unter-)öffentlichkeiten sichtbar, da die Außendarstellung darauf abzielt größere Kontroversen zu vermeiden. Das übergeordnete Erkenntnisinteresse betrifft Fragen nach Identitätspolitik und Formen der öffentlichen Artikulation. Es wird untersucht, welche Bedeutung verschiedene Öffentlichkeiten für die Artikulation heikler Themen spielen und gefragt, wann politische Zukunftsversionen unartikuliert, verborgen oder verschleiert bleiben und wann sie der breiten Öffentlichkeit zugemutet werden.
Dieses Projekt ist Teil des ERC-Projekts „Religion and its Others in South Asia and the World: Communities, Debates, Freedoms“ (ROSA). Es wird von Jacob Copeman geleitet und vom Europäischen Forschungsrat der EU (ERC) im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizont 2020 der Europäischen Union (Finanzhilfevereinbarung Nr. 817959) finanziert.