Das Alumni-Interview: 10 Fragen an Laura Lambert

17. Februar 2025

In loser Reihenfolge veröffentlichen wir an dieser Stelle Interviews mit Alumni des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung. Wir wollen wissen, wo sie leben und arbeiten, woran sie forschen und welche Rolle die Zeit am MPI für sie heute noch spielt. Und sie erzählen uns, welchen Rat sie ihren Studierenden mit auf den Weg geben und welches Buch sie in letzter Zeit beeindruckt hat.

 

Laura Lambert ist im November 2024 mit dem Klaus-J.-Bade-Nachwuchspreis für Migrations- und Integrationsforschung ausgezeichnet worden. In der Laudatio wird sowohl die wissenschaftliche Exzellenz der Beiträge von Laura Lambert hervorgehoben als auch darauf verwiesen, dass sie über den akademischen Bereich hinaus Wirkung entfalten und dadurch sowohl im politischen Raum als auch in öffentlichen Diskursen Resonanz finden.

Wir gratulieren Laura Lambert ganz herzlich zu dieser herausragenden Würdigung ihrer Forschung.

 

1. Von wann bis wann waren Sie am MPI und was haben Sie hier gemacht?
Ich war zwischen Ende 2017 und Anfang 2022 Doktorandin in der Forschungsgruppe „The Technicisation of Exclusionary Practices in the Context of Migration“. Sie war die letzte Kohorte der International Max Planck Research School „Retaliation-Mediation-Punishment“ – REMEP. Wir wurden zuerst von Günther Schlee und nach seiner Emeritierung von Marie-Claire Foblets betreut.
Meine Dissertation hat sich mit der Auslagerung europäischer Grenzen in den Niger beschäftigt. Ich habe dabei untersucht, wie der europäisch geförderte Aufbau des Asylverfahrens vor Ort als „humanitäre Grenze“ wirkt und Migrant*innen in Afrika durch die Versprechen von Schutz und Versorgung in einem der ärmsten Länder der Welt festhalten soll. Dabei ging es mir insbesondere um die Frage der Handlungsfähigkeit „von unten“. Durch teilnehmende Beobachtung in der dortigen Asylbehörde und durch unzählige Gespräche mit Beamt*innen, Migrant*innen und Mitarbeitenden des UNHCR und der EU konnte ich zahlreiche Momente des Widerstands, der Aneignung und des Entziehens gegenüber den europäischen Politiken dokumentieren.

2. Wo sind Sie jetzt und was machen Sie dort?
Nach einer ersten Postdoc-Stelle am Arnold-Bergstraesser-Institut in Freiburg arbeite ich jetzt als Postdoktorandin im vom Europäischen Forschungsrat geförderten Projekt „Doing Digital Identities“ (DigID) an der Leuphana Universität Lüneburg. Wir untersuchen in fünf Ländern ethnographisch, wie digitale Identifizierung das Verhältnis von Staat und Bürger*innen verändert. Mein Schwerpunkt liegt auf der Einführung eines biometrischen Ausweises in Sierra Leone.

3. Wie sehr hat Ihre Tätigkeit am MPI Ihre jetzige berufliche Situation geprägt?
Das MPI hat mich bis ins Mark geprägt. Ich kam als Sozialwissenschaftlerin mit kurzen Erfahrungen qualitativer Feldforschung ans MPI. Ich verließ es – das hoffe ich zumindest, sagen zu können – als Anthropologin mit einem soziologisch und politikwissenschaftlich informierten Blick für strukturelle Verhältnisse. Ich hatte mir Einblicke in euro-afrikanische Grenzverhältnisse erarbeitet und dabei ein Gespür für die Komplexität und Sensibilität dieses Forschungsthemas gewonnen. Günther Schlee hat die einjährige Feldforschung während der Dissertation damals als „rite of passage“ beschrieben, die eine zu einer echten Anthropologin macht. Im Nachhinein muss ich ihm, wenn auch ein wenig widerwillig, Recht geben. Die Feldforschung im Niger hat sich aus heutiger Sicht als unglaublich wichtig für meine heutige Forschungspraxis erwiesen. Und die Grenzen zwischen Europa und Afrika beschäftigen mich bis heute.

4. Was fällt Ihnen zuerst ein, wenn Sie an die Zeit am MPI zurückdenken?
Die produktiven Teamtreffen in unserer Forschungsgruppe unter der Koordination von Timm Sureau und später auch unter Tabea Scharrer. Ich bin ihnen und den beiden Mitdoktorand*innen Stefan Millar und Margarita Lipatova unglaublich dankbar für den gemeinsamen Austausch zu Grenzräumen, Technologien, politischer Anthropologie und dafür, was es bedeutet, anthropologisch zu arbeiten und zu schreiben.

5. Haben Sie noch Kontakt zum MPI und wenn ja, welchen und zu wem?
Ich bin weiter Assoziierte in Marie-Claire Foblets Abteilung ‚Recht & Ethnologie‘ und versuche, soweit es mir zeitlich gelingt, an ihren Aktivitäten und an Olaf Zenkers Kolloquium teilzunehmen. Mit anderen Forschenden bin ich thematisch im Austausch. Ursula Rao ist eine zentrale Person für meine gegenwärtige Forschung zu digitaler Identifizierung. Unsere frühere Forschungsgruppe gibt gerade mit ehemaligen Fellows in der Zeitschrift Comparative Migration Studies eine Sonderausgabe zu „future-making and containment“ heraus. Jacqueline Knörr, Luisa Schneider, Anais Ménard, David Kananizadeh und David O‘Kane haben mir viel bei der Vorbereitung meiner Forschung in Sierra Leone geholfen. Das MPI ist ein zentraler Knotenpunkt in diesen Netzwerken.

6. Woran forschen Sie im Augenblick?
Ich untersuche derzeit, wie die Einführung von biometrischen ID-Karten in Sierra Leone das Verhältnis von Staat und Bürger*innen verändert. Diese Ausweise versprechen, einen Menschen eindeutig an eine Identität zu binden. Damit einher gehen gleichzeitig große Versprechen, wie wirtschaftliche Entwicklung und Zugang zu staatlichen Leistungen, aber auch Gefahren, wie fehlender Datenschutz, Diskriminierung und noch härter werdende Migrationskontrollen. Im letzten Jahr habe ich in der zuständigen Behörde erforscht, wie diese Registrierung von Menschen ohne Papiere abläuft, wie sie zu „paper citizens“ werden. Dabei habe ich auch mit sogenannten „Justices of the Peace“ geforscht, die einen Eid der Menschen über ihre Identität beglaubigen. Sie sind juristische Laien, aber aufgrund ihrer Reputation vom Präsidenten ernannt und verrichten ihre Arbeit auf der Straße. Als „brokers of citizenship“, wie ich sie betrachte, sind sie damit zentral für die Überbrückung von Formalität und Informalität. Ich bleibe also der politischen Anthropologie und der Rechtsanthropologie treu. Anfang Februar geht es wieder drei Monate nach Sierra Leone, ich bin gespannt.

7. Was planen Sie in der Zukunft?
Ich möchte ein eigenes Forschungsprojekt oder eine Nachwuchsgruppe beantragen. Auch darin wird es um die Themen Migration, Grenzen und Staatsbürger*innenschaft in euro-afrikanischen Grenzverhältnissen gehen.

8. Was kann die Ethnologie besser als andere Sozialwissenschaften?
Menschliches Handeln im Kontext verstehen und sich damit auf komplexe Erzählungen einlassen. Gesprächspartner ernst nehmen, Spannungen aushalten, sich selbst darin als Forschende reflektieren.  

9. Was würden Sie heutigen Studierenden der Ethnologie raten?
Sich nicht verunsichern zu lassen. Uns wurde im Studium immer angedroht, dass wir Taxifahrer*innen werden. Heute gibt es kaum noch Taxis. Aber meine Kommiliton*innen haben alle einen tollen Job gefunden. Und diese diffizile Welt braucht auch zukünftig tiefes Verstehen.

10. Welcher Text – Buch oder Artikel – hat Sie in letzter Zeit beeindruckt?
Ein Klassiker: Gloria Anzaldúa (1987) – Borderlands/La Frontera: The New Mestiza. Wunderschön geschrieben und ihre Perspektive auf Gewalt als Wunde und zugleich Öffnung für eine mögliche Transformation ist auch weiterhin so relevant, dass sie auch in meinen Studierenden viel ausgelöst hat.

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